Nachhaltigen Ökostrom, verzweifelt gesucht – ein Erlebnisbericht

Das ist ja einfach

Ok, es ist soweit – der Einzug ist soweit durch, die Kartons sind ausgepackt und die meisten Dinge haben wieder einen festen Platz gefunden. Genau die richtige Zeit, um mal mit meinem Mitbewohner nach einem Stromanbieter zu schauen. Nachhaltigen Ökostrom – den zu finden sollte nicht allzu schwer sein. Die Grundversorgung ist einfach viel zu teuer, um damit lange zu warten. Und in Zeiten der Klimakrise sollte der Strom schon Öko sein, auch wenn mein Wohnungsgenosse lieber einen Anbieter mit nettem fetten Bonus hätte.
  
Internet an, Suchmaschine mit Ökostrom finden füttern und zack: oben steht Verivox. Ein Klick, drei Daten und das Angebot ist da. Ganz oben steht E.ON – aber ich zögere – das waren doch die, die zu RWE und deren Kohlegruben gehören. Na, so weit her kann das mit dem Öko nicht sein, wenn die hier ganz oben stehen. Ahja, eine Einstellung erlaubt zwischen „Öko“ und „nachhaltig“ zu unterscheiden.
 

Okay, da gibt es also einen Unterschied zwischen Öko und nachhaltig?

Ich bin etwas unsicherer geworden. Und auch mit dieser Einstellung ist E.ON ganz oben? Warum eigentlich? Ich sehe schon, dass wird nicht mal eben in ein paar Minuten fertig und Verivox fällt demnach bei der Suche nach grünen Stromanbietern raus.

Na, dann such ich nochmal, aber diesmal nach „nachhaltigen Ökostrom“, den Unterschied habe ich ja gerade gelernt. Ich lese mich durch einige Seiten Berichte und lerne, dass viele Anbieter den Ökostrom mit den Gewinnen aus dem Kohlestrom billiger als die Konkurrenz anbieten können. Aber ich will ja nicht Unternehmen mit meinem Geld bezahlen, die noch Kohle verbrennen und den Klimawandel vorantreiben. Ich will nicht grüngewaschenen Ökostrom, nachhaltig soll er sein. Außerdem würde ich durch meine Wahl für die Anbieter reiner erneuerbarer Energie den Markt weiter erschweren. Unter dem Bericht sind dann doch ein paar nachhaltige Stromanbieter empfohlen und ich fange an zu vergleichen: Es artet in eine wilde Klickerei und unzählige Screenshots aus, da ein direkter Vergleich auf keiner Seite möglich ist. Mein Mitbewohner verabschiedet sich entnervt und ich bin ein wenig verzweifelt. „Deutschland, grüner Vorreiter in der Welt“ heißt es, aber Ökostrom gibt´s fast nur von Erzeugern mit Kohlestrom im Konzern. Ökostrom, nachhaltig produziert? Das scheint Mangelware zu sein.

Was muss ich eingeben, damit ich wirklich grünen, also nachhaltigen Ökostrom finde?!?

Also letzter Versuch: wirklich grüner Ökostrom geht in die Suchzeile und da ist was – wirklich-grün.de.
Yay, eine Seite, auf der die Stromanbieter direkt vergleichbar sind, alle sind nachhaltig, bauen die erneuerbaren Energien aus, haben keine Verbindung zu den Kohle- und Atomstromkonzernen.
Aber ist das wirklich alles so Öko, wie die sagen? Geprüft wird von Robin Wood, einer Umweltschutz-organisation die seit 1982 aktiv ist und sich für eine Beschleunigung der Energiewende einsetzt. Den Ökostromreport erstellen sie alle paar Jahre und da ich in renommierten Zeitungen  (TAZ, Stern) keine negativen Schlagzeilen zu Robin Wood finden kann, haben sie bei mir schon mehr Vertrauen gewonnen als Verivox mit der Top-Platzierung von Kohlekonzernen beim nachhaltigen Ökostrom.

Meine Güte, jetzt sitze ich hier schon fast drei Stunden, dabei wollte ich mir eigentlich nur schnell einen Stromanbieter aussuchen! Für heute ist erst mal Feierabend. Vor dem Einschlafen schwirren mir die vielen Infos noch im Kopf herum und ich beschließe, einen Freund zu fragen, wie der das geregelt hat. Daraus ergibt sich, dass für ihn alles sehr einfach war: Ökostrom anklicken, billigstes Angebot nehmen und fertig. „Und wie Öko ist dein Anbieter wirklich?“ frage ich und merke, dass das eine unbequeme Frage ist und für ihn gereicht hat, dass Öko im Namen vorkommt. Ich erzähle von meiner kurzen Recherche und werde von ihm recht schnell unterbrochen. „Nee, ich habe jetzt gewählt und das soll auch erst mal gut sein so!“ Ob das Thema als unbequem erscheint, weil doch schnell klar wird, dass man einem Werbeversprechen auf den Leim gegangen ist und das beruhigte Gewissen lieber nicht wieder geweckt werden soll? Auf die Gefahr hin anzuecken stelle ich diese Frage und bekomme zur Antwort: „Jo, da hast Du mich erwischt.“

Der Tarif ist doch Öko

Hmm, mir hat das jetzt nicht wirklich weitergeholfen und als ich nach Hause komme, hat mein Mitbewohner schon einen Stromtarif ausgesucht, bei dem noch ein Fernseher mit angeboten wird. Seiner ist ihm zu klein und das wäre doch eine tolle Gelegenheit – und der Tarif ist doch Öko.
Ich verzweifle weiter und verweise wieder auf den Klimawandel und wie groß der Einfluss ist, den wir mit unserer Energieerzeugung dabei haben. Er hält mich für fanatisch, die Klimakrise für hochgekochte Hysterie und wenn mir das so wichtig sei, könne ich wohl den Stromanbieter aussuchen, aber ich sollte ihm dann auch den Fernseher bezahlen – aber das geht natürlich nicht.
Ich gebe nach und wir nehmen den Ökostrom eines Kohlekonzerns, der mit dem Konsumbonus die Entscheidung zu Gunsten der Klimakrise beeinflusst hat. Ich tröste mich damit, dass ich zumindest Einiges gelernt habe und ich damit beim nächsten Umzug auf jeden Fall die richtige Entscheidung treffen kann.
  
PS: Nach weiteren fünf Monaten bin ich tatsächlich wieder umgezogen und habe jetzt Strom von einem der empfohlenen Anbieter.